Ideenbörse

Dirk de Pol, 8. Januar 2019

Kultur, Mentale Gesundheit

Wer hat sich nicht schon einmal darüber schwarz geärgert, ein gerade erstandenes Produkt schon kurz darauf woanders wesentlich billiger zu sehen. Vor allem die Computer- und Elektronikanbieter wollen den Verbraucher vor solchen Enttäuschungen schützen und versprechen, die Differenz zurückzuzahlen, wenn man innerhalb einer Woche nach dem Kauf ein günstigeres Angebot für ein identisches Produkt findet. Von einer anderen Seite nähern sich Büros für Preisrecherchen dem Problem. Ihnen teilt man den besten Preis mit, den man selbst nachweisen kann. Finden sie dann einen günstigeren Anbieter, streichen sie einen Anteil der Differenz als Gebühr ein. Für teurere Erzeugnisse, wie z.B. aus dem Bereich der Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik, lohnt sich das oft. Doch schon bald wird es uns möglich, nicht nur Preisgefälle zu dämpfen, sondern auch auf Preise und Produkte Einfluß zu nehmen, und zwar dank der vielbeschworenen Datenautobahn. Preisrecherchen werden mit ihr zum lohnenden Spiel, wenn man seinen Kaufentschluß im virtuellen Markt versteigert: Wer ein bestimmtes Massenprodukt kaufen will, erteilt einfach eine verbindliche Kauforder unter Angabe des Höchstpreises, der Lauf- und gewünschten Lieferzeit. Verschiedene Anbieter können ihre Preise dann abgeben. Geschieht dies öffentlich, wird zudem ein nicht unerheblicher Werbeeffekt für den günstigsten Anbieter erzielt. So profitieren alle von diesem Verfahren: Der Netzbetreiber streicht Gebühren ein, der Kaufwillige kauft zum besten Preis, der Anbieter verkauft und wirbt, denn auch bloß Kaufinteressierte werden seine Angebote lesen.

Auch das Teleshopping der Zukunft wird nicht mehr ausschließlich darin bestehen, ein Produkt zu einem festen Preis zu erwerben. Denn dieser wird zunehmend durch neue Formen des Kaufens bestimmt, die durch ihren spielerischen Charakter unterhaltsamer und daher attraktiver sind. Neben der im Internet von der Firma Onsale schon erfolgreich praktizierten Versteigerung von Luxusgütern ist dabei an eine börsenähnliche Preisbildung zu denken. Vieles ließe sich günstiger anbieten und auch herstellen, wenn der Verbraucher eine lange Lieferzeit akzeptiert und die Produktion erst beginnt, wenn eine bestimmte Mindestbestellmenge erreicht ist. Auf gleichem Wege könnte auch ein Übergang von unnötig in Massenproduktion gefertigen Waren zu individuelleren Angeboten gefunden werden. Ein Beispiel: Ein exklusives Produkt mit Sonderausstattung soll in einer bestimmten Zeit in einer Auflage von 1000 Stück hergestellt werden. Vier mögliche, verschiedene Versionen werden zunächst auf einem virtuellen Markt präsentiert. Der Zuspruch, den sie dort erfahren, entscheidet, welches Modell produziert wird. Die ersten 100 Besteller zahlen dann den günstigsten Preis bei längster Lieferzeit, der 900ste bis 1000ste Besteller den höchsten bei kürzester Lieferzeit. (In der Tourismusbranche funktioniert dieser Mechanismus umgekehrt, weil die Veranstalter schon bestehende Kontigente absetzen müssen.) Damit der potentielle Kunde die Werbe- und Präsentationsseiten für neue Angebote nicht nur frequentiert und so bloß einen unsicheren Schluß erlaubt, was ihm gefällt und was nicht, wird ein Anreiz für die Äußerung seiner Meinung geschaffen. Gibt er sie z.B. in Form kleiner Wetten darüber ab, welche Version produziert werden wird, kann er mit einem Kaufrabatt belohnt werden, wenn er richtig liegt. Zu wissen was ankommen wird, muß sich lohnen!

Ähnliche Mechanismen werden über kurz oder lang alle Aktivitäten im Netz regulieren. Gerade hat ein Doktorand des California Institute of Technology vorgeschlagen, wissenschaftliche Hypothesen und ihre finanzielle Förderung einem solchen Mechanismus zu unterwerfen (vgl. dazu: Wired, September 1995, S. 125). Wer einen innovativen Ansatz entwickelt, kann an einer Ideenbörse darauf setzen, dass er in einem bestimmten Zeitraum eine gewisse Wettquote erreicht, weil auch andere ihn unterstützen, sprich: auf ihn wetten. Neinsager und Konkurrenten könnten dann nicht länger die Innovation einfach durch Schweigen oder Mißachtung unterdrücken, sondern müßten gegen sie wetten, was mit einem Verlust von Geld und Reputation verbunden sein könnte. Ist es nur ein Frage der Zeit bis neben dem Teleshopping und der Marktforschung auch Politbarometer in einer solchen Börsenform eingerichtet werden?


Zuerst erschienen  1995  in  Frankfurter Rundschau

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