Glaube, Liebe, Hoffnung im Internet

Dirk de Pol, 8. Januar 2019

Kultur, Mentale Gesundheit

Norbert Bolz, neuer Kultautor des Econ-Verlages, hat zusammen mit dem noch unbekannten David Bosshart das Buch Kult-Marketing: Die neuen Götter des Marktes vorgelegt. Wer Bolz kennt, wird sich fragen, warum der egomanische Professor für Kommunikationstheorie die Hilfe eines Trendforschers beansprucht. Die Antwort: er tut es nicht. Bossharts Beitrag beschränkt sich auf knapp ein Drittel des Werkes und vor allem darauf, dieses neu wirken zu lassen. Das ist auch bitter nötig, da Bolz erneut seiner Überzeugung huldigt, dass man im Computerzeitalter keinen Autor brauche, denn Geist sei sowieso nur der “Inbegriff aller möglichen Datenkombinationen, und Kultur das Spiel auf der Tastatur des Gehirns”. Als Höhepunkt einer konsequenten Bewegung in den Sachbuch-Mainstream zeigt Kult-Marketing mehr als die übrigen Werke des ehemaligen Philosophen, dass das insbesondere ein Spiel mit der Copy- und Del-Taste meint. So hat Bolz mehrfach bewiesen, dass gerade der Sachbuchmarkt im Zeichen des Samplings steht: aus der noch philosophischen Theorie der neuen Medien etwa ist das Ende der Gutenberg-Galaxis geworden, und aus dem Opus Die Welt als Chaos und als Simulation das manager-gerechte Kontrollierte Chaos, das nun, wie auch die Gutenberg-Galaxis, in Kult-Marketing, dem Schlußlicht dieser Reihe, eingegangen ist. Da diese mehrfach recycelten Light-Produkte mit dem schleichend wirkenden Gift einer hemmungslosen Machtphilosophie versetzt sind, verdienen sie leider nicht den Grünen Punkt.
Heidegger praktizierte eine solche Philosophie solange, bis selbst die Nazis vor seinem Purismus zurückschreckten. Wer aber über den eigenen Willen zur Macht und dessen Risiken restlos aufgeklärt ist, agiert nicht mehr als Ideologe, sondern als Marketing- und Management-Berater. Vielleicht bewog die Brot- und Folgenlosigkeit gegenwärtiger Philosophie Bolz, diese kurzerhand für tot zu erklären und sich willig in den werbewirksamen Verdacht zu begeben, “Herold einer neuen Barbarei” des “rechten Zeitgeistes” zu sein. Und zwar ganz nach dem Motto: Wenn es kein richtiges Leben im Falschen gibt, dann kann nur das Falsche einziger Maßstab sein, sprich: der Schein. So propagiert Bolz die Remythisierung der rationalistisch entzauberten Welt mittels einer alle Grenzen sprengenden Technologie, mit der sowohl das Buch der Natur neu geschrieben als auch die totale Herrschaft des Scheins und Konsums errichtet werden soll.

Hier kommen die wenigen neuen Ansätze von Kult-Marketing zum Zug. Seit sich unser Begehren vom jenseitigen Reich Gottes und dem diesseitigen des Kommunismus gelöst hat, flottiere es frei zwischen den stets neu erscheinenden Göttern des heidnischen Marktes: Coke, Marusha, Adidas ect. Deshalb brauche es Produkte, die kultische Verehrung auf sich ziehen. Da diese mit der Mode gehe, sei Konsum selbst zum Kult der “ultimativ letzten Religion dieser Welt” geworden: dem Kapitalismus.

Kult-Marketing soll den Unternehmen nicht nur erlauben, Normalverbraucher zu binden, sondern auch Antworten “auf die Konsumverweigerung der Generation X und der Technokultur” zu finden. Um “die Subkultur mit ihren eigenen Waffen” zu schlagen, empfehlen die Autoren Trendforschung in Echtzeit, was heutzutage nur durch Szene-Spione und Computer zu haben ist. So sei nichts näherliegend, als die telematischen Produkte der Zukunft als Kult-Produkte zu stilisieren und das “irrationale Begehren” der Konsumenten an das telematische Netz zu knüpfen: da “Religio” im lateinischen sowohl Kult, aber auch Verbindlichkeit heiße, müsse das uns verbindende telematische Netz als “Implementierung der Religion” verstanden werden. “Glaube, Liebe und Hoffnung übernimmt das Internet. Das Göttliche ist das Netzwerk”. Also können wir uns ihm genau wie dem Kult-Konsum ohne schlechtes Gewissen hingeben. Mit immer perfekteren Simulationen von Bedürfnisbefriedigung werde es uns ohnehin fesseln. Den Medien- genau wie den Moderummel könne man nicht und sollte man daher “gar nicht erst ignorieren”. Immerhin: Individualisierung bleibt als die des Konsumenten bestehen. Ein telematisches Mikro-Marketing wird dessen Begehren bis zum logischen Grenzwert präzise registrieren: dem “Tod des Massenmarktes”.

Der Versuch das Hexenbuch des Marketings der Zukunft zu schreiben, bietet keine brauchbaren Zauberformeln, sondern Altbekanntes in neu gesampelter Form, die uns das Vorwort als lesefreundliche, “modulare Anordnung” angepreist. So ist der Satz, der deren Sprünge, Widersprüche und Wiederholungen übertünchen soll, nicht nur der häufigste des Buches, sondern auch ein Versprechen, dass das irrationale Begehren der Leser nur kurzfristig ködern kann: “Davon später mehr.”

Zuerst erschienen 1995 in die tageszeitung

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DAS SPIEL, BEI DEM ALLES AUF DEN TISCH KOMMT …

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