Bereits 1996 hat Microsoft, damals Weltmarktführer im Bereich Software, die Weichen gestellt für die Verwandlung in einen multinationalen Medienkonzern, der über Kanäle, Frequenzen und auch über eigene Inhalte verfügt. Microsoft hat jedoch nicht nur das Fernsehen und das Radio erfolgreich auf Satelliten- und Breitbandsysteme umgestellt, sondern auch massiv in Biotechnologie investiert, den zweitwichtigsten Wachstumsmarkt. Nach langer Zeit stellte sich Bill Gates, der reichste und, wie viele meinen, auch der mächtigste Mann der Welt, wieder einem Interview.
Dirk de Pol: Herr Gates, jahrelang mußten Sie sich anhören, Sie hätten nichts anderes im Sinn, als den Softwaremarkt zu dominieren. Heute führen Sie in fast allen Bereichen der Medien. Welche Ziele haben Sie noch?
Bill Gates: Ein Monopolist ist nie am Ziel. Das ist eine Erfahrung, die wir in den letzten Jahren immer wieder machen mußten. An die letzten 20% Prozent kommt man nie heran. In diesem Sinne kann es gar nicht darum gehen, endgültig zu gewinnen. Aber gerade das letzte, widerspenstige Segment ist am interessantesten. Denn in ihm beginnt häufig der Siegeszug von neuen Produkten, über die schon häufig große Unternehmen gestolpert sind. Dieses Segment muß man besonders genau beobachten.
Dirk de Pol: Wie sind Sie mit all den oft jahrelangen Untersuchungen der Federal Trade Commission und den gesetzlichen Beschränkungen klar gekommen, die man Ihnen immer wieder auferlegen wollte?
Bill Gates: (lacht) Wir haben ganze Abteilungen, die sich mit nichts anderem beschäftigen. Aber anzusehen wie Regierungen und Gesetzgeber versuchen, mit der Entwicklung Schritt zu halten, ist schon ein zwiespältiges Vergnügen. Sie gestalten die Welt ja schon lange nicht mehr. Erinnern Sie sich noch, wie auch in Europa die letzten Telefonmonopole aufgehoben wurden?
Dirk de Pol: Ja. Worauf wollen Sie hinaus?
Bill Gates: Zur gleichen Zeit war ich schon an allen entscheidenden Satellitensystemen und in über 20 Staaten an großen Kabelnetzen beteiligt. Das ist etwa so, als hätte man eine Möglichkeit gefunden, den Fahrradverkehr zu regeln, während sich die ganze Welt schon mit Hochgeschwindigkeitssystemen fortbewegt.
Dirk de Pol: Aber ein Telefonnetz ist doch nicht dasselbe wie ein Kabelnetz?
Bill Gates: In der Anfangsphase nicht, weil Kabelsysteme zunächst nur lokal sind. Aber wenn man welche auf der ganzen Welt hat, muß man sie nur noch zusammenschließen – und schon hat man ein globales Netz, über das bei entsprechender Bandweite auch die Telefon- und Internet-Dienste bereitgestellt werden können. Über kurz oder lang will jeder das digitale Kabelfernsehen, interaktiv oder nicht. Und genau über dieses Kabelnetz werden wir auch in Zukunft Produkte und Dienstleistungen im großen Stil an den Massenmarkt bringen. Dieses Kabelnetz überträgt Bilder, Töne, Daten, alles, was man will und was sich digitalisieren lässt.
Dirk de Pol: Man nennt Sie nicht ohne Grund den Lord of Bandwidth. Allerdings haben Sie sich erst sehr spät für Kabelnetze interessiert, nämlich als sich das Scheitern Ihres eigenen Netzes, das Microsoft Network, nicht mehr leugnen ließ.
Bill Gates: Richtig. Aber Scheitern ist kein Begriff, den wir benutzen. Wir haben einfach Fehler gemacht, und werden auch in Zukunft welche machen. Wichtig ist, dass wir aus unseren Fehlern lernen. Für erfahrene Computernutzer hat sich damals nur die Frage gestellt, ob sie über einen freien Provider oder über AOL oder Compuserve ins Netz gehen. Diese Nutzer, die ja zu 80% unsere Software verwenden, haben wir nicht für das MSN gewinnen können. Wir haben die Konsequenz gezogen und den nächsten Schritt gemacht. Über unsere Satelliten- und Kabelnetze bedienen wir den wesentlich größeren Markt der unerfahrenen und verunsicherten Mediennutzer. Wir liefern alles aus einer Hand und auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten: Fernsehen, Web-TV, Pay-TV, Radio, Telefonie, Internetzugang. Und wenn Sie Mieter oder Eigentümer in einer unserer sicheren MS-Multimedia-Wohnanlagen sind, erhalten Sie alles zu wirklich günstigen Tarifen. Gleichgültig in welchem Bereich Probleme auftauchen, Sie haben stets einen festen Ansprechpartner, der Ihnen hilft. Das ist unsere Vorstellung vom Service der Zukunft. Wir haben leider erst sehr spät bemerkt, dass sich dieses in Deutschland sehr erfolgreiche Modell auch auf Amerika übertragen lässt, wenn auch nur auf neue Wohnungsbauprojekte. Solche Projekte sind wunderbar. Es gibt ganz einfach keinen besseren Ansatz, die Nachfrage nach Kommunikation, Information und Unterhaltung zu bündeln und auch zu stimulieren. Das Schönste ist, mit der gebündelten Nachfragemacht lassen sich sehr gute Preise für die Dienste anderer Unternehmen aushandeln und an unsere Kunden weitergeben.
Dirk de Pol: Sieht man einmal davon ab, dass dieser Ansatz neulich von Kritikern als “Wegelagerei der Wegelagerei” bezeichnet wurde, so gelten Ihre Multimedia-Wohnprojekte auch deshalb als erfolgreich, weil sie wachstumsfähige und dennoch sichere Kleinstadtstrukturen nachempfinden, die den Gemeinsinn anregen sollen …
Bill Gates: Und das wird wirklich sehr gut von den Leuten aufgenommen …
Dirk de Pol: Bleiben wir noch ein wenig bei dem Thema Fehler, das Sie gerade angesprochen haben. Sie hatten erst kürzlich Schwierigkeiten mit Mitarbeitern, die sich gegen Ihre Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen wehren wollten …
Bill Gates: Ja, es gibt einige Leute, die die damit verbundenen Fragen nicht richtig durchdacht haben.
Dirk de Pol: Es gab da unter anderem eine Anklage wegen heimlicher Audio-Video-Wanzen in den Wohnungen einiger Ihrer Programmierer.
Bill Gates: Das war eine Verleumdung und schnell gegenstandslos. Vielen fällt einfach schwer zu verstehen, dass jedes Geschäft mit Informationen sehr heikel ist. Die meisten Informationen, die übermittelt werden, gehen durch Netze, die ich besitze. Das bedeutet aber zum Beispiel auch, dass jeder Programmierer, der Software für diese Netze schreibt, über einen großen Einfluß verfügt. Sie haben einen direkten Zugang zu Informationen, die nicht selten sensibel sind. Solche Informationen können leicht kopiert oder einfach memoriert und mit nach Hause genommen werden. Dort spricht man mit seiner Frau oder seinen Freunden und, bevor man sich versieht, ist aus einem kapitalen Geheimnis ein sich schnell verbreitendes Gerücht geworden. Aber damit wir uns nicht mißverstehen, ich habe zu keinem Zeitpunkt Angestellte bespitzeln lassen!
Dirk de Pol: Aber Microsoft war ja stets für extreme Sicherheitsmaßnahmen bekannt. Sie speichern von all Ihren Mitarbeitern Fingerabdrücke, Netzhautmuster, DNS-Proben, ja selbst Stimmdiagramme, die bei routinemäßigen Streßanalysen eingesetzt werden.
Bill Gates: Das ist richtig, auch wenn die Bedeutung dieser Maßnahmen chronisch mißverstanden wird. Sie müssen das in einem größeren Zusammenhang sehen. Schon seit Jahren ist unser Campus das Paradebeispiel für eine gelungene Synthese von Kommunikations- und Sicherheitssystemen. Ein Beispiel: letzte Woche ist eine Programmiererin zusammengebrochen. Es war Nacht, und sie hat noch allein im Büro gearbeitet. Dank unserem neu entwickelten GPB, dem Global-Positioning-Biomonitor, den alle unsere Mitarbeiter tragen, waren die Sanitäter in 7 Minuten da und wußten auch, dass es sich um den Anfall einer Zuckerkranken mit sehr vielen Allergien handelt. GPB kommt übrigens zum Jahresende auf den Markt.
Dirk de Pol: Einiges Aufsehen hat auch das Reißverschluß-Modulsystem erregt, dass Sie seit zwei Jahren in bestimmten Bereichen der Softwareprogrammierung einsetzen.
Bill Gates: Es gibt viele völlig routinemäßig durchzuführende Programmierarbeiten, die keine kreative Eigenleistung voraussetzen, sondern einfach nur einen sauberen Code. Solche Arbeiten werden in Module aufgeteilt, die man nur dann zu einem stabilen Programm verknüpfen kann, wenn man die dafür nötigen Verknüpfungscodes kennt. Der einzelne Programmierer weiß zwar, wozu das Modul, das er programmiert, gut ist, aber er kann es nicht in ein anderes, eigenes Programm integrieren. Ich denke, es ist völlig normal, dass ein Unternehmen wie unseres ständig bemüht ist, seine Managementechniken zu perfektionieren und seine Ressourcen zu schützen. Spätestens in drei bis fünf Jahren wird dieses Thema erledigt sein. Bis dahin werden unsere Kontrollsysteme das erzielbare Maximum der Sicherheit erreicht haben und auch schnell zum Standard für andere Wirtschaftsunternehmen werden.
Dirk de Pol: Ist das auch ein Grund für Ihr verstärktes Engagement im Bereich der Gehirnforschung und Biotechnik?
Bill Gates: Ja, wir haben uns an Firmen wie Affymetrix, Amgen und vielen anderen beteiligt. Aber die Synthese von Biotechnik und Sicherheitssystemen ist nur ein Teilaspekt, wenn auch ein wichtiger. Schon bald werden unsere Bioscanner in der Lage sein, eine bloße Betrugsabsicht zu registrieren, d.h. solange sie nicht über eine Körperkontrolle verfügen wie etwa ein Yogameister. Wir haben bis heute schon viel Zeit in die Entwicklung neuronaler Netze investiert, die zwischen einer wirklich ernsthaften kriminellen Absicht und den in jedem Unternehmen auftretenden Rache- und Betrugsphantasien unterscheiden sollen, die gelegentlich selbst in den loyalsten Mitarbeitern hochsteigen. Scheinbar gehören solche Phantasien genau wie Mobbing zum Reinigungssystem unseres psychischen Haushalts. Wir haben lange gebraucht, um das zu verstehen, und sind noch dabei, Lösungen zu finden.
Dirk de Pol: Sie haben aber nicht nur in die Biotechnik investiert, dem Markt mit den zweitgrößten Wachstumsraten, sondern auch in viele andere Schlüsselbereiche. Sie waren stets dafür bekannt, eine erstaunliche Anzahl von Visionen und Ideen in Ihrem Kopf zu versammeln und häufig ganz überraschende Schlußfolgerungen zu ziehen.
Bill Gates: Mit der Entscheidung für Satelliten- und Kabelnetze war auch der Schritt naheliegend, die größten Bildagenturen und Fernsehsender der Welt aufzukaufen oder Allianzen mit ihnen einzugehen, wie etwa mit Murdoch, NBC oder auch CNN – Time Warner. Bilder, Fotos und Filme machen schließlich rund 70 % des Datenstroms aus. Der Rest ist Text. Wir sind daher auch besonders stolz darauf, Printmedien und digitale Medien gegen alle Widerstände und Bedenken verheiratet zu haben …
Dirk de Pol: Sind auch die 400 Millionen Dollar in diesem Kontext zu sehen, die Sie 1997 den amerikanischen Bibliotheken gespendet haben?
Bill Gates: Sicher. Es hieß zwar damals, das sei ja nur ein Tropfen in den fast leeren Eimer. Doch dieser Tropfen hat weite Kreise gezogen. Heute sind alle Bibliotheken mit Hilfe unserer Software und Netze miteinander verbunden. Wenn heute jemand weiß, wie es um das System und das Niveau unserer Bildung bestellt ist, dann wir. Wir wissen, welche Zeitungen und Bücher gekauft oder geliehen werden. Wir wissen, welche Filme, welche Musik und welche Programme dem Einzelnen gefallen, und können unsere Angebote darauf abstimmen. Sie machen ein besorgtes Gesicht. Natürlich haben wir uns jahrelang geduldig die Sirenengesänge über die unschuldigen gläsernen Bürger angehört. Aber ich kann Ihnen versichern: Niemand wird gezwungen, unser Kunde zu werden.
Dirk de Pol: Mit ihrem Engagement für das Bildungswesen, den von Ihnen geschaffenen Stellen und Einrichtungen setzen Sie eine alte amerikanische Tradition auf neue Weise fort. Zur gleichen Zeit stoßen Sie mit der Biotechnik in einen ganz fremden Bereich vor, dessen Reglementierung auf internationaler Ebene noch immer aussteht.
Bill Gates: Sie haben völlig recht. Aber erinnern Sie sich, welche Synergieeffekte der Zusammenschluß der Kabelnetze gebracht hat. Und versuchen Sie, das auf diese neuen Bereiche zu übertragen.
Dirk de Pol: Können sie das ein wenig erläutern?
Bill Gates: (lächelt) Sie werden mir keine Grabrede über den Staat und den Verlust seiner traditionellen Aufgaben entlocken. Zum Bildungswesen sage ich nur soviel: Wer nicht lernt, dass Leben Lernen bedeutet, hat keine Chance. Und ohne Medien ist dieses Lernen undenkbar. Es ist unsere Aufgabe, dieses Lernen zu erleichtern. Und es ist auch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich der Bildungstand der Nationen weiterhin kontinuierlich verbessert.
Dirk de Pol: Das klingt wie eine Regierungserklärung. Wo bleibt der unternehmerische Gesichtspunkt?
Bill Gates: Ich bitte Sie! Wer in der schulischen und universitären Ausbildung Wissen und Medienkompetenz erwirbt, wird Medien später beruflich und privat nutzen. Welchen positiven Effekt Wissen und Medienkompetenz auf das Wohl der Nationen hat, brauche ich nicht zu erläutern. Wenn Sie es unbedingt möchten, kann ich den Sachverhalt aber auch aus der unternehmerischen Perspektive formulieren: Uns gehören heute zwar auch Versandhäuser und viele Dienstleistungsgesellschaften, aber unsere Kernprodukte sind nach wie sehr komplex und setzen gebildete und anspruchsvolle Kunden voraus, die immer besser wissen, was sie wirklich wollen. Heute scheinen die technischen Möglichkeiten mehr denn je fast unbegrenzt zu sein. Realisieren kann man sie allerdings nur, wenn man die Kaufkraft eines Massenmarktes hinter sich hat, der für die neuen Produkte bereit ist. Denken Sie bloß an die Erfolgsgeschichte des Computers.
Dirk de Pol: Und wie paßt in dieses Bild die Bio- und die Pharmaindustrie hinein, in der Sie ja mittlerweile auch mitmischen?
Bill Gates: Eine Antwort auf diese Frage können Sie sich selber geben, wenn Sie sich überlegen, was der frühe Mythos Multimedia mit der Aura der sogenannten “Götter in Weiß” zu tun hat. Der Mythos Multimedia hat uns zunächst gottähnliche Omnipräsenz, virtuelle Doppelexistenz und dann auch digitale Unsterblichkeit versprochen. Im Programm “being digital” schwang also von Beginn an auch eine religiöse Komponente mit. Denken Sie bloß an die Überwindung unserer beschränkten Körperlichkeit oder an die paradiesischen Spielräume der Phantasie, die wir immer eindrucksvoller visualisieren. All diese Mythen der Medienrevolution von oben haben vielleicht neun oder zehn Jahre gewirkt …
Dirk de Pol: Die Medienrevolution von unten schieben Sie ja mit Ihrem MS-Wohnprojekten an …
Bill Gates: … wir sehen uns eher als Beschleuniger der Medienevolution. Jedenfalls war das Feuer der Medienmythen schnell niedergebrannt. Aus ihrer Asche ist der Phönix der Biotechnik als legitimer Nachfolger auferstanden, der sich mehr auf die offline world konzentriert, zurecht, wie ich meine. Biotechnik wird einige Versprechen der frühen Medienmythen einlösen. Insofern verhalten sich Medien- und Biotechnik ein Stück weit komplementär zueinander. Und sie profitieren auch in vielen Bereichen voneinander. Denken Sie an den unvorstellbaren Erfolg der DNS-Computer oder auch an den Erfolg von Affymetrix, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, nämlich Genetiker, Bioinformatiker und kreative Informatiker zusammenzubringen. Daraus ist unter anderem das effizienteste System zur präventiven Erkennung von Erbkrankheiten hervorgegangen, ein sagenhafter Fortschritt. Oder denken Sie an den sich überschlagenden Bereich der Prothetik. Augen, Ohren, selbst Teile des Gehirns sind heute oder doch in absehbarer Zeit ersetzbar und lassen sich teilweise sogar verbessern … Wenn ich richtig unterrichtet bin, waren es übrigens deutsche und französische Medientheoretiker, die in den frühen neunziger Jahren als erste die Ansicht aufbrachten, auch der Mensch müsse als reprogrammierbares Medium begriffen werden. Dafür haben sie von der deutschen Presse viel Kritik geerntet. Ich vermute, das hängt mit der deutschen Geschichte zusammen. Wir Amerikaner sind da jedenfalls viel unbefangener auf unserem Weg nach vorne …
Dirk de Pol: Um Himmels willen, dass klingt ja beinahe so, als würden Sie die ungezügelte Reprogrammierung des Biowesens Mensch fordern!
Bill Gates: (lacht) Ich habe mich hinreißen lassen! Aber ich denke, Ihnen ist damit deutlich geworden, welche Suggestionen von diesen Bereichen ausgehen. Wobei ich gestehen muß, dass Melinda mich wahrscheinlich zu Recht immer wieder daran erinnert, dass Frauen diese Entwicklungen eher mit Sorge sehen.
Dirk de Pol: Ihre Frau stutzt Ihnen die Flügel, wenn Ihre Visionen Bodenhaftung verlieren?
Bill Gates: (grinst) Sie sagen es! Sie ist mein strengster Kritiker. Aber Bodenhaftung ist tatsächlich ein entscheidendes Stichwort. Der Zusammenhang von Medien- und Biotechnik zum Beispiel lässt sich auch anders buchstabieren. Wenn Sie die Wahl zwischen einem Kunden haben, der Ihnen bis zum sechzigsten Lebensjahr treu erhalten bleibt, und einem, der vielleicht auch noch im achtzigsten Lebensjahr ein reges Interesse an ihren Dienstleistungen zeigt, welchen Kunden, so frage ich Sie, würden Sie vorziehen?
Dirk de Pol: Wenn Sie gestatten, fassen wir kurz zusammen: Sie wollen also nicht nur ihre Kunden erziehen, ausbilden und mit der Sicherheit ihrer Systeme und Wohnanlagen vor den Schlägen des Schicksals schützen, sondern Sie wollen auch noch dafür sorgen, dass Ihre Kunden all dies möglichst lange genießen und das heißt ja auch bezahlen können. Entschuldigen Sie die Frage, aber wie kommt es eigentlich, dass Sie trotz ihrer immensen Macht und Verantwortung noch nicht größenwahnsinnig geworden sind?
Bill Gates: (lacht) So groß ist meine Macht überhaupt nicht. Es gibt einfach sehr viele komplexe Aufgaben. Volkswirtschaftlich gesehen ist es nicht mehr zu verantworten, dass diese Einzelunternehmen mit großen Bürokratien lösen wollen, weil sie sich dabei eher behindern, anstatt zu kooperieren. Die Konzernverflechtungen, die sich um Microsoft herum gebildet haben, bilden ein komplexes, sich beinahe selbständig regulierendes System. Es wäre Hybris anzunehmen, eine Person allein könnte das steuern. Und unterschätzen Sie nie, welche Überraschungen uns morgen aus dem nächsten Labor oder aus der nächsten Garage erwarten könnten!
Dirk de Pol: Anscheinend haben Sie erneut ihre Strategie umgestellt. Schon 1997 hieß es ja über Microsoft “They are so much nicer now”. Was hat sich verändert?
Bill Gates: Durch Melinda und meine Kindern bin ich ruhiger geworden. Unsere Strategien sind wesentlich moderater geworden und setzen auf Vernetzung und abgestimmte Kooperation. Bis vor wenigen Jahren noch hat man immer in evolutionären Bildern des Kampfes und der Konkurrenz gedacht und dabei außer Acht gelassen, dass Evolution selbst ein komplexes System ist, in dem Kooperation genauso wichtig, wenn nicht sogar viel wichtiger ist. Anders gesagt: Die Zeit des Wanderheuschrecken-Kapitalismus ist vorbei. Gleichwohl gilt es, die Evolution soweit wie möglich zu steuern. Die Versuche, die Evolution zu steuern, haben schon immer zu ihrer inneren Gesetzmäßigkeit gehört. Für uns ist sie kein anonymes Schicksal mehr.
Dirk de Pol: Heißt das: “Die Evolution, das bin ich.”?
Bill Gates: (lacht) Nein, nein! zuviel der Ehre!
Dirk de Pol: Gut, wie wäre es dann mit: Bill Gates, die Spinne im Netz der Evolution?
Bill Gates: (seufzt und rollt mit den Augen) Die Spinnenmetapher verfolgt mich nun seit Jahren … Aber gut, wenn Sie zugestehen, dass diese Spinne vegetarisch ist und das Netz der Evolution lediglich mitknüpft, dann bin ich einverstanden!
Dirk de Pol: Herr Gates, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Dieses fiktive Gespräch führte Dirk de Pol
Zuerst erschienen in TELEPOLIS – magazin der netzkultur 17.09.97