Cybercities

Dirk de Pol, 8. Januar 2019

Kultur, Mentale Gesundheit

Die Architektur der großen Städte war stets verlässlicher Schlüssel der Zeit. Wie so häufig geben die Vereinigten Staaten von Amerika auch hier den Takt vor. Privatarmeen bewachen die verspiegelten Hochhäuser und die Villengegenden. Bewaffnete Bürgerwehren und Gangs schützen nicht weniger vehement ihre eigenen Viertel. Und Einkaufszentren sind überhaupt erst komplett, wenn sie ein Turm in ihrer Mitte ziert, wie er aus Gefängnissen bekannt ist. Die dort stationierte Polizei wird von den Überwachungskameras schon dann alarmiert, wenn ihre “fuzzy logic” Turnschuhe und damit potentielle Störenfriede erkennt. Angesichts solcher Verhältnisse ist es nur eine Frage der Zeit bis sich eine Schutzeinrichtung über die Großstädte verbreitet, die auf den hektischen Flughäfen Amerikas schon im Einsatz ist. Ohne die dort angebotenen abschliessbaren Metallcontainer mit Bett, TV und Fax wird bald niemand mehr unsichere Stadtarreale betreten wollen. Diese Zellen geschützter Privatheit gewähren Erholung vom städtischen Stress und Gefahren und bieten Gelegenheit für so manches Geschäft. Cocooning – der Rückzug von der immer bedrohlicher werdenden Welt liegt im Trend. Das künftige Haus wird sich jedoch nicht nur zu einem Hochsicherheitstrakt entwickeln, sondern auch zu einem überdimensionierten Multimedia-System. Die Innenseiten dieses Gehäuses werden aus Sensoren, Boxen, Leinwänden und Duftquellen bestehen. Es erkennt verlässlich, wie sich seine Bewohner fühlen und befriedigt ihre Bedürfnisse fast unmittelbar. Je nach Stimmung legt uns dieses Traum-Haus die Welt als mediales Dorf in sicherer Distanz zu Füßen, oder verabreicht sie in stimulierenden Portionen. Aber gleichgültig wie perfekt der Luxus auch sein wird: je mehr wir uns von der Welt da draußen zurückziehen, desto schmerzhafter werden die unvermeidbaren Besuche in ihr.

Zuerst erschienen 1996  in  Der Tagesspiegel

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