Abschied von der Passivität

Dirk de Pol, 8. Januar 2019

Kultur, Mentale Gesundheit

Ein berühmtes Motto der Aufklärung lautete zwar: “Habe Mut dich deines eigenes Verstandes zu bedienen!” Doch eine der wesentlichsten Errungenschaften der Aufklärung, nämlich die kritische Öffentlichkeit, war weitgehend nichts anderes als eine Kultur der Experten, die natürlich alles besser wussten als man selbst. Daran hat sich, was unsere Massenmedien anbelangt, bis heute nicht allzuviel geändert. Mit der Fernbedienung sind wir zwar schon zu kleinen Programmdirektoren des Kabel- und Satellitenwirrwars geworden. Doch erst mit dem World Wide Web, dem wohl aufregendsten Medium der Individualkommunikation, ist wirklich niemand mehr bloß passiver Empfänger von Botschaften und Informationen vermeintlicher Autoritäten.

An die Stelle einseitiger Kommunikation, die das Fernsehen und die Printmedien vor allem kennzeichnet, ist die Möglichkeit getreten, sich mit einer Information oder einem Werk interaktiv auseinanderzusetzen. Per Email kann man sich an fast allem direkt beteiligen, wie das aktuelle Beispiel des Online Publishing erneut zeigt: Noch vor dem Druck wird ein Buch über das World Wide Web zugänglich und damit kritisierbar gemacht, wovon die Druckfassung profitieren soll.

So fordert uns das WWW auf, nicht länger nur zu lauschen, sondern unsererseits zu agieren. Insofern erscheint es als eine, wenn nicht die wichtigste kommunikationstechnische Grundlage des Übergangs von der Moderne mit ihren Hohepriestern der Künste, Wissenschaften und öffentlichen Meinungen hin zu einer dynamischen Postmoderne mit ihren offenen Horizonten und Rahmenbedingungen.

Ob Nachrichtensendungen, Soaps oder auch die Printmedien – zur Hauptfunktion der Massenmedien wird im Gegenzug, das durch diese Entwicklung bedrohte gemeinschaftliche Bewusstsein, einen minimalen symbolischen Konsens aufrecht zu erhalten. Denn je mehr wir uns von einer Massenkultur hinzu einer Individualkultur bewegen, desto wichtiger werden kollektive Meinungen und Mythen.

Zuerst erschienen 1996  in Der Tagesspiegel

Dieser Artikel handelt von einem Krankheitsbild oder gesundheitlichen oder medizinischen Thema und dient dabei jedoch nicht der Eigendiagnose. Der Beitrag ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt. Bitte lesen und beachten Sie auch unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen!

DAS SPIEL, BEI DEM ALLES AUF DEN TISCH KOMMT …

… und nichts unterm Teppich bleibt.

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