Die Welt als Organismus

Dirk de Pol, 8. Januar 2019

Mentale Gesundheit

Es ist kein Geheimnis, dass unsere vermeintlichen Fortschritte die Regulation aller natürlichen Systeme völlig aus dem Gleichgewicht gebracht haben, wie uns zum Beispiel das Ozonloch, das Artensterben und der Klimawandel beweist. Einige hartnäckige Optimisten meinen jedoch nun, dass das, was die Natur wie durch unsichtbare Hand zustande bringt, nämlich Selbstregulation und Selbstheilung, auch die Menschen bewerkstelligen können, wenn sie bloß alle ihre Gehirne vernetzen würden. Das Internet soll dabei als Superhirn das zentrale Medium der vom Menschen mitregulierten Gaia sein. Mit ihm fange die Erde erst wirklich zu denken an, und zwar mit Superintelligenz. Dieser Ansatz hört sich so an, wie er tatsächlich ist: völlig vage und sehr spekulativ. Er stellt wohl ein Höhepunkt menschlichen Kontrollwahns dar.

Sicherlich wäre es schön und gut, wenn der Mensch alle natürlichen Prozesse, die er negativ beeinflusst, im nachhinein, oder noch besser von vornherein vernünftig steuern könnte. Doch Gaia ist ein offenes, sich selbstregulierendes chaotisches System, dessen Komplexität und Mechanismen sowohl den Menschen als auch sein Lieblingsspielzeug, den Computer, bei weitem überfordern. Zwar liegt auch in der chaotischen Gaia eine Ordnung verborgen. Nur ist sie dem Menschen über eine computergestützte Visualisierung hinaus kaum zugänglich. So stimmt zwar, dass wir mit der Chaostheorie der Natur ein weiteres Stück auf die Schliche gekommen sind. Aber hinter dem Vorsatz, sie in den Dienst der Beherrschung der Welt zu stellen, steht die gleiche Hybris, die uns den gegenwärtigen Zustand der Welt beschert hat. Das Wunder einer durch das Internet gestützten Superintelligenz oder künstlichen Intelligenz wird uns aus ihm genauso wenig hinaus helfen, wie der Gott, von dem Nietzsche meint, wir hätten ihn getötet.

Zuerst erschienen 1996 in Der Tagesspiegel

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DAS SPIEL, BEI DEM ALLES AUF DEN TISCH KOMMT …

… und nichts unterm Teppich bleibt.

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