Vorsicht Interaktion

Dirk de Pol, 8. Januar 2019

Kultur, Mentale Gesundheit

Als eine “Wechselbeziehung zwischen Personen und Gruppen” definiert der Duden den Begriff Interaktion. Aber Achtung! Interaktion ist gefährlich! Denn das Gelingen der zwischenmenschlichen Kommunikation – so lautet eine Einsicht der Soziologie – wird immer unwahrscheinlicher. Deswegen belasten sich ökonomische und technische Systeme kaum noch mit ihr. An der Börse genau wie im Flugzeug oder Atomkraftwerk regiert schon lange der Computer. Der unberechenbare Mensch gilt als Störfaktor, der angesichts fast perfekter Technik immer mehr für die Restrisiken verantwortlich gemacht wird. Und natürlich produzieren vor allem wir die chaotischen Bedingungen, in die die unschuldigen Maschinen Sicherheit und Ordnung bringen sollen. Das tun sie scheinbar so gut, dass wir – statt bloß mit Menschen – mittlerweile auch ganz selbstverständlich mit Maschinen in Interaktion treten. Schon mit Audio-Video-Geräten kann man sich bekanntlich bestens unterhalten, denn bereits sie sind widerspruchslose Wunschmaschinen, die beliebige Inhalte und Emotionen abrufbar machen. Das gilt erst Recht für die digitalen Medien mit ihren wunderbaren Spielen, Simulationen und Virtuellen Realitäten. Anonym klatschen, sich austauschen oder beschimpfen, oder aber fahren wie ein Wilder, warum nicht auch morden, oder vielleicht lieber Bürgermeister einer Stadt oder gleich Herrscher einer zu kolonisierenden Welt sein: Anything goes in Cyberspace.

Die digitale Welt bietet einfach mehr und stärkere Emotionen als die reale, weil in ihr hemmungsloser und scheinbar risiko- und folgenlos agiert werden kann. Doch desorientiert und manipuliert sie uns dabei nicht? Und bietet sie nicht bloß kläglichen Ersatz für zwischenmenschliche Kommunikation? In jedem Fall verbraucht sie unsere Energie und die immer knapper werdende Ressource “Aufmerksamkeit”. Auch der Konsum der neuen Medien will eben gelernt sein. Sicher, genau wie konventionelle Drogen, Einkaufen, Sex oder Extremsport kann auch das Leben in virtuellen Welten süchtig machen. Aber trösten wir uns! So technisch präzise und beliebig programmier- und nutzbar wie die Droge Cyberspace war noch keine andere. Mit diesem ultimativen Sedativum muß der Weg zur Weltgesellschaft nicht einmal vor die eigene Tür führen.

Zuerst erschienen 1996  in Der Tagesspiegel

Dieser Artikel handelt von einem Krankheitsbild oder gesundheitlichen oder medizinischen Thema und dient dabei jedoch nicht der Eigendiagnose. Der Beitrag ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt. Bitte lesen und beachten Sie auch unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen!

DAS SPIEL, BEI DEM ALLES AUF DEN TISCH KOMMT …

… und nichts unterm Teppich bleibt.

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