Der Trendforscher Matthias Horx hat mit seinem “Trendbuch”, dem “Trendwörter-Lexikon” und dem Buch über “Markenkult-Kultmarken” zweifelsohne schon in den 90er einen anhaltenden Trend identifiziert. Es war nur eine Frage der Zeit und des Namings (so heißt es, wenn man einen Trend benennt), bis sich der damalige Zeitgeist in Form eines Werkes über Kult-Marketing materialisieren würde. So geschah es dann auch. Norbert Bolz und David Bosshart haben damals ein Buch mit dem Titel “Kult-Marketing: Die neuen Götter des Marktes” vorgelegt. Naming ist alles: Kult-Marketing, das klingt neu, das klingt trendy! Und soviel lässt sich auch schnell verstehen: Marketing wird durch zwei Faktoren der Märkte zu Kult-Marketing: 1. Konsum ist heute Konsum von Produkten, denen eine kultische Verehrung zuteil wird. 2. Da diese nie lange vorhält, ist Konsum selbst zum Kult der “ultimativ letzten Religion dieser Welt” geworden: dem Kapitalismus.
“Davon später mehr.” So lautet der häufigste Satz des Buches, der vor allem die Wiederholungen, Widersprüche und Sprünge kaschieren soll. Ungewollt drückt er jedoch auch eine andere Einsicht der Autoren aus und erlaubt, diese schon während der Lektüre zu überprüfen: der Konsument, in diesem Fall der Leser, habe nicht Bedürfnisse, die stillbar seien, sondern “irrationale Begehren”, deren Befriedigung sich nur kurzfristig suggerieren lasse. Für Manager ist das die frohe Botschaft. Der Konsum ist so unendlich wie das Begehren, das er nie befriedigen kann, seit es sich von dem einen Gott, dessen Reich all unser Sehnen galt, gelöst hat und nun frei flottiert zwischen den stets neu erscheinenden Göttern des heidnischen Marktes: Cobain, Coke, Nike, ect. Werbung besetze die vakant gewordene Funktionstelle von Religion und verspreche inmitten einer bis zur Sinnlosigkeit aufgeklärten Welt mit ihren Kult-Produkten zugleich Ordnung und Faszination. Popkultur sei dabei zur zentralen Kultur aufgestiegen. Mit ihr habe bislang verdrängte Perversität und Vulgarität Einzug in Konsum und Marketing gehalten. Marktnähe, so eine Formel von Bosshart, sei heute nur noch durch Vulgarität und Heiligkeit zu erreichen. Für ihn ist die Hauptfunktion einer Demokratie, Subkulturen hervorzubringen. Sie sind kostbare Quellen von Trends, die sich profitabel in Mainstream-Kultur umsetzen lassen. Kult-Marketing und Szene-Spione sollen dabei den innovativen Unternehmen erlauben, auch auf die Konsumverweigerung der Generation X und der Technokultur zu antworten, kurz: die Subkultur mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
Vor allem die als Nieten in Nadelstreifen in Verruf geratenen Manager und deren Strategielieferanten sollen mit solchen Aussichten geködert werden: also Unternehmensberater, aber auch Trendforscher, die die Autoren als – Überraschung! – deren Nachfolger betrachten. Damit handelt es sich um ein Buch für jeden, der das eine oder andere werden oder einfach erfahren will, was als nächstes vom Kartell der Kassierer zu erwarten sein könnte.
Der Beitrag des Trendforschers David Bosshart beschränkt sich dabei auf 120 der 370 Seiten des Werkes und vor allem darauf, dieses neu wirken zu lassen. Das ist schon deswegen nötig, weil der Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz, über den Spiegel, Focus und der Merkur immer wieder berichten, erneut seiner Überzeugung huldigt, dass man im Computerzeitalter keinen Autor brauche, denn Geist sei sowieso nur der Inbegriff aller möglichen Datenkombinationen, und Kultur das Spiel auf der Tastatur des Gehirns. Das Buch “Kult-Marketing” zeigt mehr als die übrigen Werke des ehemaligen Philosophen, dass das insbesondere ein Spiel mit der Kopier- und Löschtaste meint. Auch bei seinem aktuellen Versuch eines Gesamtkunstwerks will Bolz nicht auf schon Geleistetes verzichten, oder anders formuliert: Sachbücher stehen mittlerweile im Zeichen des Samplings. Unter dem Vorwand eines Marketings der Zukunft fügt sich sein erstes Buch im Econ-Verlag, “Das kontrollierte Chaos”, mit dem früheren “Ende der Gutenberg-Galaxis” zu einer neuen “modularen Anordnung” zusammen. Das Vorwort preist diese als “lesefreundlich” und die sich zwangsläufig einstellende Redundanz als “Gewinn an Orientierung”. Kult-Marketing ist so trotz aller Bemühungen von Bosshart vor allem Endpunkt der Bolzschen Bewegung von der Philosophie in den Sachbuch-Mainstream. Als großer Vereinfacher, der die Konsequenz aus der Brot- und Folgenlosigkeit gegenwärtiger Philosophie gezogen hat, begibt sich Bolz erneut willig in den werbewirksamen Verdacht, wie er sagt, Herold einer neuen Barbarei des rechten Zeitgeistes zu sein. Wie konnte es dazu kommen und was gibt es in Kult-Marketing wirklich Neues?
Mit dem Philosophen Jacob Taubes hat sich Bolz zu Beginn seiner Karriere nicht ohne Voraussicht einen Experten für Heilslehre als Mentor gewählt. Nach dessen Tod hat er sich von der Hermeneutik ab und dem Poststrukturalismus und Nietzsche zugewandt. Vom Umwerter aller Werter lernt Bolz, dass eine Remythisierung der rationalistisch entzauberten Welt unausweichlich und notwendig ist. Im aktuellen Werk liest sich das so: Gegen die Entzauberung der Welt durch Wissenschaften setzt das Kult-Marketing heute auf Strategien der ästhetischen Wiederverzauberung. Bolz folgt dabei ganz dem Motto: Wenn es kein richtiges Leben im Falschen gibt, dann kann nur das Falsche einziger Maßstab sein, sprich: der Schein, dessen totale Herrschaft er mit einer alle Grenzen sprengenden Technologie heraufziehen sieht.
Denen, die noch philosophischen Bauchspeck mit sich schleppen, empfiehlt Bolz in seiner Philosophie nach ihrem Ende radikale Bewusstseinsdiäten und Abstinenz von der Droge Hermeneutik, die sich der Bildungshumanismus verabreicht, um die Welt der elektromagnetischen Wellen, Strahlungen und Bitströme vergessen zu machen. Unter deren Dauerbeschuß ist ihm die Formierung des wahrhaft aktuellen Denkens als Medientheorie gelungen. In seiner Theorie der neuen Medien spannt er dann schon kühn den Bogen von Wagner zu Pink Floyd und McLuhan: Stationen auf dem Weg zum Gesamtkunstwerk der Zukunft.
Auch in Kult-Marketing hat Bolz nur Spott und Mitleid übrig für die “Leidensschauspieler und Notstandsstellvertreter”, womit diesmal Grüne, Feministinnen, Friedensbewegte usw. gemeint sind. Ihre Ressource werde immer knapper und kostbarer, da es ja immer weniger Übel auf der Welt gebe. Anders als Bolz haben sie noch nicht begriffen, dass man hochkomplexe Zusammenhänge … nicht moralisch beurteilen, sondern nur vereinfachen kann. So beschränkt sich Bolz erneut darauf, das Hohelied einer telematischen Gesellschaft zu singen, die Tele-Kommunikation, Informatik, Multimedia zu einer noch nie dagewesenen Synthese führen und alle Bereiche des Lebens verändern soll. Für ihn ist dabei die noch humanistische Hoffnung auf eine Vernetzung sich verständigender Subjekte bloß ignorant. An Habermas gerichtet heißt es in Kult-Marketing: “Der Konsens der räsonierenden Bürger ist die blaue Blume der Aufklärung im Land der neuen Medien. Massenmedien dienen entweder dem Information Processing oder dem Marketing”. Mit der Verlängerung der menschlichen Sinne in die telematische Welt seien wir nicht länger souveräne Nutzer von Medienwerkzeugen, sondern nur noch synaptische Knotenpunkte eines telematischen Weltgeistes.
Das telematische Netz preist Bolz – und das ist neben den eingestreuten suggestiven Kult-Marketing-Formeln wirklich neu! -, als ultimative (Er-)Lösung. Im Medienverbund gelänge uns eine postchristliche Umbesetzung der Transzendenz. Was könnte auch näherliegend sein, als die telematischen Erzeugnisse als Kult-Produkte zu stilisieren und das irrationale Begehren der Konsumenten an das Netz zu binden? Und das geht so: da “Religio” im lateinischen sowohl Kult, Gottesdienst, aber auch Verbindlichkeit heiße, könne das uns verbindende telematische Netz als technische Implementierung der Religion verstanden werden. Glaube, Liebe und Hoffnung übernimmt das Internet. Das Göttliche ist das Netzwerk. Also dürfen wir uns ihm ohne schlechtes Gewissen hingeben. Materielle Grundlage der Weltreligion des Kapitalismus soll eine kultisch verehrte Technologie sein, deren Produkte die begehrtesten gadgets der Zukunft sein werden. “Darauf müssen sich Werbung, Marketing und Design in Zukunft einrichten.”
Von einer zukünftigen Synergie von Mensch und Maschine ist dann zwar in Kult-Marketing auch noch die Rede. Aber Empfehlungen im Stil seiner “Philosophie nach ihrem Ende” waren Bolz für das Sachbuch-Publikum dann wohl doch zu drastisch. Dort nämlich heißt es, das Mängelwesen Mensch müsse sich nicht nur der ihn erweiternden Telematik, sondern auch der Gentechnik öffnen. Mit dem Leib werde sie auch das Wesen des Menschen ändern: “human engineering steuert heute in der Gentechnologie ein großartiges Endstadium an”. Der gentechnisch instruierte Mensch soll den Text des Lebens und das Buch der Natur neu schreiben. Mit dem genetischen Code seien wir im Begriff, uns ganz neu zu informieren, nämlich durch Keimbahn-Therapie und Cloning.
Mit seinen Vorstellungen zur zukünftigen Telematik, die nicht nur Kult-Produkte hervorbringen, sondern selbst Gegenstand kultischer Verehrung sein werde, wagt sich Bolz in Kult-Marketing wieder weit in das Terrain der Science Fiction Autoren vor. Tatsächlich hat er sich mit dem gegenwärtig prominentesten unter ihnen ausgiebig, wenn auch sehr selektiv beschäftigt. Von William Gibson bezieht Bolz viele seiner Ideen, hebt aber vor allem die Vision des Cyberspace, der Datenautobahn der Zukunft, romantisierend hervor. Das ist schon deswegen befremdlich, weil gerade Gibson in seinen Romanen die Horrorvision einer spätkapitalistischen Welt entwirft, wie sie entstehen könnte, wenn wahr wird, was sich Bolz wünscht: das Herausdrehen aller ethischen Sicherungen. Sollte an den Szenarien Gibsons etwas sein, das dem Experten des Kult-Marketings nicht ins Konzept paßt?
In Gibsons Welt sind Regierungen nur noch Sprachrohr der Interessen der Wirtschaftstrusts, die das Innovationspotential chaotischer Subkulturen erkannt haben. Deshalb dulden sie den “Sprawl”, einen rechtsfreien Raum, der von rivalisierenden Horden bevölkert wird, die mit Schwarzmarktgeschäften ihren je eigenen faustischen Traum finanzieren, der in “Schwarzen Kliniken” mit Hilfe von Gentechnik und Implantaten realisierbar ist. Plastischer kann man sich die negative Utopie, die aus dem resultiert, was uns Bolz und Bosshart verschreiben, nicht vor Augen führen. Man trägt die Gesichter der aktuellen Medienstars, wechselt nach Lust das Geschlecht, hat hochfrisierte Gehirnkapazität oder programmierbare Reflexe, die man auch vermieten kann. Die Gentechnik macht es möglich: Je nach Geschmack lässt man sich Alpträume oder Sinneseindrücke und Empfindungen der Megastars über einen telematischen Neuralanschluß unmittelbar ins Gehirn einspielen. Die Außenwelt und das Es sind zu digital reproduzierbaren und kontrollierbaren Träumen geworden, die das Netz als ultimatives Sedativum anbietet.
Gibson zeichnet aber nicht nur ein pessimistisches Bild einer Gesellschaft jenseits von Gut und Böse. Er stellt uns Gentechnik und Telematik als Schwarze Magie vor. Das paßt Bolz, der in Kult-Marketing der Telematik den Schein des Göttlichen verleihen will, nicht ins Konzept! Bei Gibson gerät die Datenautobahn unter die Herrschaft Künstlicher Intelligenzen, die noch ganz am Anfang ihrer Persönlichkeitsentwicklung stehen und nur durch Rituale des Voodoo-Kultes beschwört werden können. Wie griechische Götter, greifen sie in den Lauf der Dinge ein. Als Schwarze Magie darf Bolz die Telematik jedoch nicht thematisieren. Er kann nicht gleichzeitig ihr optimistischer Überbaukonstrukteur und andererseits der Philosoph sein, der uns darlegt, inwiefern die Telematik Teufelszeug ist. Denn er ist vor allem als Experte der “Malitätsbonisierung” gefragt, d.h. als der, der das Böse entübelt.
Schon im Kontrollierten Chaos gibt sich Bolz als ein Sohn des Odysseus, der sich stellvertretend den Reizen des Bösen aussetzt, um den Managern von heute vorzumachen, wie man im Chaos der explodierenden Weltmärkte navigiert. Doch dort, genau wie in Kult-Marketing, zögert der “Tele-Macho” aber auszumalen, warum die Telematik in der Tat die entscheidende Schlacht ist. Sie ist es deshalb, weil mit ihr vielleicht der entscheidende Mangel des Bösen behoben werden kann: Das Böse ist nämlich bislang nur als Konkretes und d.h. Begrenztes in Erscheinung getreten. Deswegen wirkt es im Vergleich mit unbegrenzter, göttlicher Allmacht defizitär, mangelhaft und bisweilen lächerlich. Eine weltumspannende, omnipotente Telematik, könnte sich mit göttlicher Allmacht messen. Doch dabei ist sie aber gerade als Böses denkbar. Das wird deutlich, wenn wir uns anschauen, wie der von Bolz oft bemühte Schelling das Böse definiert. Für ihn sind der Leib und die Leidenschaften in ihrer Animalität unschuldig. Das Böse entstammt nicht ihnen, sondern dem rein Geistigen, das erst den Krieg gegen alles Lebendige und Leibliche führen kann. Durch das Geistige kann aus der Wahrnehmung Einbildung, aus dem Bedürfnis unstillbares Begehren werden. Das Geistige produziert das Böse aber erst recht in der Potenzierung zum technischen Maschinengeist, denn nach Schelling ist das Böse: “ein Scheinbild des Lebens – ein Schwanken zwischen Seyn und Nichtseyn”, das “dem Gefühl sich als etwas sehr Reelles ankündigt.” Nichts anderes stellt die Telematik in Aussicht. Wie auch die Gentechnik verspricht sie nur, was wir uns von jedem Teufelspakt erhoffen: Raum und Zeit dem eigenen Erleben zu unterwerfen, damit sich die Intensität des zu kurzen Lebens steigert.
Erst in diesem Zusammenhang wird deutlich, was vom Versuch einer Vergöttlichung der Telematik und ihrer Produkte zu halten ist. Sicherlich ist mit den neuen Techniken der Horizont des Leibes und damit auch der der Ethik aufgebrochen. Aber wer diese Entwicklung rückhaltlos bejaht, betreibt Nietzsches, von Bolz nicht zufällig zitiertes Programm der “Heiligung der mächtigsten, furchtbarsten, bestverrufenen Kräfte: die Vergöttlichung des Teufels”, und zwar im Zeitalter seiner technologischen Perfektibilität. Mit seiner Formel “Heiligkeit und Vulgarität” stimmt Bosshart in diesen Reigen ein. Deren Ergebnis ist weniger, wie er meint, Marktnähe, sondern ein ideologischer Satanismus, vor dessen Karren er genau wie Bolz glaubt, den Esel des Kapitalismus spannen zu können. Beide plädieren in Kult-Marketing für eine totale Überantwortung an die Dynamik des Kapitalismus und setzen dabei auf die Dialektik des ästhetischen Satanismus der modernen Avantgarde, der wir eine noch bis heute anhaltende Tyrannei ewig neuer Trends und Moden verdanken. Aber gerade damit stehen sie der pluralistischen Postmoderne entgegen: diese schließt nämlich auch die Freiheit ein, gegen oder quer zum Zeitgeist zu leben. Für Bolz und Bosshart ist indes fraglos, dass es immer schwieriger wird, subversiv oder Underground zu sein. “Das große Nein negiert nichts mehr, sondern wird unmittelbar vermarktet.” Mit immer perfekteren Simulationen von Bedürfnisbefriedigung werde die telematische Gesellschaft uns ohnehin fesseln. Den Medien- genau wie den Moderummel könne man nicht und sollte man daher “gar nicht erst ignorieren”. Immerhin: Individualisierung bleibt als die des gläsernen Konsumenten bestehen. Ein telematisches Mikro-Marketing registriert und kontrollier dessen Begehren präzise, und zwar bis zum endgültigen Tod des Massenmarktes. Die Frage ist nur, ob wir in den digitalen Netzen als Fliege zappeln oder als eine von vielen Spinnen souverän agieren.
Dirk de Pol, Von der besten aller möglichen Weltreligionen. Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte 9/95, Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 1995 ISSN 0177-6738